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Ärztliche Dokumentation bei der Praxisübergabe

Im Haftungsfall hat die ärztliche Dokumentation oberste Priorität

Die Übergabe einer Arztpraxis ist nicht nur ein betriebswirtschaftlicher, sondern vor allem auch ein hochsensibler rechtlicher Vorgang, der zahlreiche Dokumentationspflichten und Haftungsrisiken für den übergebenden und den übernehmenden Arzt birgt. Eine lückenlose, ordnungsgemäße Dokumentation bildet dabei die wesentliche Basis, um einerseits die Kontinuität in der Patientenversorgung sicherzustellen und andererseits zivil-, straf- sowie berufsrechtlichen Haftungsrisiken vorzubeugen. Im Folgenden werden die relevanten Rechtsgrundlagen, konkret erforderliche Dokumentationsinhalte und -prozesse sowie mögliche Haftungsszenarien systematisch dargestellt und anhand einschlägiger Leitlinien und Urteile erläutert.


Rechtsgrundlagen der ärztlichen Dokumentationspflicht

Ärztliche Dokumentation bei der Praxisübergabe
Der Arzt ist nach § 950 BGB Eigentümer der erstellten Patientenunterlagen. Allerdings kollidiert dieses Eigentumsrecht mit dem grundgesetzlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). In der Rechtsprechung wurde klargestellt, dass die Weitergabe von Patientenunterlagen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten erfolgen darf. Andernfalls ist eine Vertragsklausel, die ohne Einwilligung des Patienten die Weitergabe vorgibt, nichtig.


Berufsrechtliche Grundlagen (Muster-Berufsordnung, Landesärztekammern)

Muster-Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä):
§ 10 „Dokumentationspflicht“: Ärzte haben die Pflicht, alle aus fachlicher Sicht wesentlichen Maßnahmen zu dokumentieren. Zustimmung zur Weitergabe: Laut § 10 Abs. 4 Satz 2 MBO-Ä dürfen ärztliche Aufzeichnungen nur mit Einwilligung des Patienten eingesehen oder weitergegeben werden.
Landesärztekammern können zusätzliche Regelungen treffen. Als Beispiel dienen die „Münchener Empfehlungen zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht bei Veräußerung einer Arztpraxis“, die das sogenannte „Zwei-Schrank-Modell“ vorschlagen.


Datenschutzrechtliche Grundlagen (DSGVO, BDSG)

Rechtmäßigkeit der Verarbeitung: Gemäß Art. 6 DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten nur bei ausdrücklicher Einwilligung des Betroffenen oder auf Rechtsgrundlage zulässig.
Patienteneinwilligung: Eine Weitergabe von Gesundheitsdaten im Rahmen einer Praxisübergabe bedarf daher stets der ausdrücklichen Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO).
Aufbewahrung und Löschung: Nach Art. 5 DSGVO sind personenbezogene Daten „…in einer Form aufzubewahren, die eine Identifizierung der Betroffenen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke erforderlich ist.“ In Deutschland gelten allerdings aufgrund berufs- und zivilrechtlicher Vorgaben längere Aufbewahrungsfristen.


Strafrechtliche Grundlagen (§ 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen)

§ 203 StGB (Vertrauliche Daten):
Ärztliche Schweigepflicht ist strafrechtlich in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB („Offenbaren von Geheimnissen“) geregelt. Eine unbefugte Weitergabe von Patientenunterlagen im Zuge der Praxisübergabe kann strafbar sein, wenn keine gültige Einwilligung des Patienten vorliegt.
Grundlagen der ärztlichen Dokumentation bei der Praxisübergabe


Ärztliche Befundsicherung und Aufbewahrung

Aufbewahrungsfristen:
In Deutschland beträgt die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für Patientenakten mindestens 10 Jahre ab Abschluss der Behandlung. Gelten internationale oder spezielle berufsrechtliche Vorschriften, können auch längere Fristen erforderlich sein (BGB, Berufsordnung, Heilberufegesetze).
Befundsicherung:
Röntgenbilder, CT-/MRT-Aufnahmen, Ultraschallbilder, CTGs, histopathologische Präparate und EKGs müssen gemäß § 630f, MBO-Ä, sowie gem. europäischer Röntgenverordnung (RöV) sicher archiviert und vor unbefugtem Zugriff (z. B. durch Passwörter, physische Schlüssel) geschützt werden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach betont, dass das Verschwinden oder die unzureichende Sicherung von Behandlungsunterlagen im Haftungsfall zur Beweislastumkehr zum Nachteil des Arztes führt: „Was nicht dokumentiert ist, gilt im Prozess als nicht durchgeführt.“


Spezifische Anforderungen und Modelle zur Patientenaktenübergabe

Grundsatz: Eigentum des Arztes vs. Persönlichkeitsschutz des Patienten
Gemäß § 950 BGB ist der Arzt Eigentümer seiner Patientenunterlagen. Jedoch genießt das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) einen höheren Rang. Daher ist eine Weitergabe von Patientenakten ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten unzulässig.

„Eine entsprechende Klausel im Arztpraxisübernahmevertrag, welche die Weitergabe der Patientenunterlagen ohne Zustimmung des Patienten vorsieht, verletzt das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten und ist wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig.“

Zwei-Schrank-Modell nach den Münchener Empfehlungen
Um den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden und zugleich eine praktikable Lösung zu bieten, haben juristische Vereinigungen und Kammergremien das „Zwei-Schrank-Modell“ entwickelt (u. a. in den Münchener Empfehlungen festgeschrieben).

Papierbasierte Patientenakten:
Die Altablaplapatientenkartei (Altkartei) verbleibt nach Praxisaufgabe in einem separaten, verschlossenen Schrank, auf den der Nachfolger keinen Zugriff hat.
Erst nach Einholung der schriftlichen Einwilligung eines Patienten darf der Nachfolger die entsprechende Akte herausholen und in seinen eigenen (verschlossenen) Schrank überführen.
Falls kein PVS mit Rechtemanagement vorliegt, muss der übergebende Arzt eine separate Datenbank (leere EPA) für den Nachfolger anlegen. Nach erfolgter Einwilligung des Patienten werden lediglich dessen Datensätze in die neue EPA des Nachfolgers kopiert. Dokumentation im Rahmen des Zwei-Schrank-Modells: Jeder Zugriff auf die Altakte wird minutiös protokolliert.
Patientenaktenübergabe bei Praxisverkauf


Patienten Einwilligungserfordernis und Alternativen

Einzelzustimmung aller Patienten: Die sicherste Methode, um rechtlich unbedenklich Patientenakten weiterzugeben, ist die ausdrückliche Einholung der schriftlichen Einwilligung jedes einzelnen Patienten. Die Einwilligungserklärung muss mindestens enthalten: Information über Praxisübernahme (Name des Übergebers und Übernehmers, Datum des Wirksamwerdens)
Umfang der Datenweitergabe (ggf. Anmerkung, dass nur solche Daten übergehbar sind, die zur künftigen Behandlung nötig sind)
Hinweis auf Widerrufsmöglichkeit der Einwilligung (nach DSGVO Art. 7 Abs. 3)

„Vorgezogene“ Übertragung mit gesperrtem Zugriff:
Der Nachfolger kann Zugriff auf eine spezielle, bis auf Weiteres gesperrte Kopie der Altkartei erhalten („virtueller Schrank“), sodass er bei jeder Behandlung nur dann in die Akte einsehen darf, wenn das PVS einen automatisierten Hinweis auf bestehende Einwilligung ausgibt. Patienten, die im Übergangszeitraum nicht in die Praxis kommen, bleiben im übergebenden Schrank.

Weiternutzung einzelner Dokumente ohne Vollakte: n Ausnahmefällen kann vereinbart werden, dass nur jene Patientenakten übergeben werden, bei denen eine unmittelbare Weiterbehandlung beim Nachfolger erwartet wird, unter der Maßgabe, dass der Patient hierzu ausdrücklich einwilligt.


Haftungsfragen bei der Praxisübergabe

Haftungsfragen bei der Praxisübergabe
Haftung für Behandlungsfehler bis zum Übergangszeitpunkt: Für alle bis zum Datum der Praxisübergabe abgeschlossenen Behandlungsfälle bleibt der ursprüngliche Arzt voll haftbar. Verjährungsfristen beginnen mit Abschluss der Behandlung (§ 195, § 199 BGB). Die übliche Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre (3 Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger. Bei Dokumentationsmängeln droht im Haftungsprozess eine Beweislastumkehr (§ 630f Abs. 3 BGB): Unterbleibt die Dokumentation einer fachlich notwendigen Maßnahme, wird vermutet, dass sie nicht erfolgt ist („Falsum non olet“).
Haftung für unrechtmäßige Weitergabe von Patientenunterlagen: Weitergabe ohne gültige Einwilligung kann zu zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen sowie berufs- und strafrechtlichen Sanktionen führen (z. B. Bußgeldverfahren nach DSGVO, Bestrafung nach § 203 StGB). Eine entsprechende Vertragsklausel im Übernahmevertrag ist nichtig, was unter Umständen auch den gesamten Vertrag angreifbar macht.

Informationspflicht und Mitwirkungspflicht:
Der Verkäufer muss alle relevanten Unterlagen oder Informationen (z. B. Betriebserlaubnisse, QM-Dokumentationen, Hygienebelegungsnachweise) vollständig bereitstellen. Unterlässt er dies, kann er unter Umständen wegen Täuschung oder arglistiger Mangelverschleierung haften.


Haftung des übernehmenden Arztes (Praxiskäufer)

Haftung für Behandlungsfehler ab dem Übergangszeitpunkt: Für alle neuen Behandlungsfälle haftet der Nachfolger alleine. Dennoch kann er in gewissen Konstellationen für Altfälle mithaften, wenn er bewusst in Kenntnis von bestehenden Dokumentationsmängeln oder unvollständigen Aktenfälle den Kaufvertrag unterschreibt, ohne den Verkäufer hierauf hinzuweisen (§ 278 BGB).

Haftung aus Gewährleistung bei Mängeln:
Im Kaufvertrag können Gewährleistungsregelungen vereinbart werden, die den Verkäufer verpflichten, für versteckte Mängel (z. B. nicht dokumentierte, aber notwendige Maßnahmen in der Vergangenheit) einzustehen.
Ist im Vertrag keine abweichende Regelung getroffen, gelten die gesetzlichen Gewährleistungsfristen: 2 Jahre ab Übergabe (§ 438 BGB analog für bewegliche Sache). In der Praxis kann die ärztliche Praxis als unechte Mischsache gelten, sodass längere Fristen (bis 5 Jahre) anwendbar sind.

Haftung für Datenschutzverstöße in der Übergangsphase:
Der Nachfolger wird nach erfolgreicher Übergabe selbst „Verantwortlicher“ i. S. d. DSGVO und haftet für Verstöße gegen Aufbewahrungs-, Verarbeitungs- oder Weitergaberegeln, sofern er nicht wirksam im Kaufvertrag Ausnahmen regelt.
Säumnis der Einholung von Patienten-Einwilligungen kann zum Bußgeldverfahren oder zu Schadensersatz führen (§ 82 DSGVO).


Besondere Haftungskonzepte und Risikominimierung

Besondere Haftungskonzepte und Risikominimierung bei der Praxisübergabe
Beweislastumkehr bei DokumentationsmängelnRechtsprechungslage:
Wenn eine fachlich gebotene Maßnahme (z. B. postoperative Schmerztherapie, Tumornachsorge) nicht in der Akte dokumentiert ist, muss der Arzt im Haftungsprozess beweisen, dass die Maßnahme dennoch durchgeführt wurde. Dabei reicht meist Zeugnis der Helfer oder Erinnerung nicht aus.
Praxisrelevanz: Sowohl Verkäufer als auch Käufer sollten darauf achten, dass sämtliche Dokumente – insbesondere jungere Fälle (< 5 Jahre) – lückenlos, chronologisch und datiert abgelegt sind. Fehlende Einträge müssen mit Nachträgen (z. B. „Addendum“) versehen werden, die klar kennzeichnen, wann die Maßnahme stattgefunden hat und wer sie durchführte.

Haftungsfreistellungen („Hold-Harmless“-Klauseln)
Kaufvertragliche Regelungen:
Verkäufer kann sich zu einer umfassenden Freistellung verpflichten, etwa:
„Käufer stellt Verkäufer von allen Schadenersatzansprüchen Dritter frei, die aus Behandlungsfällen entstehen, welche vor dem Datum XY abgeschlossen wurden, soweit sie auf in der Patientenakte nicht dokumentierten Maßnahmen beruhen.“
Eine präzise Definition der relevanten Zeiträume ist zwingend (Beispiel: alle Fälle bis einschließlich 31. Dezember 2024).

Zeitliche Befristung:
Üblich ist eine Befristung dieser Freistellung auf 3 Jahre ab Vertragsabschluss, um einen Ausgleich zwischen Risikoübernahme und Kalkulierbarkeit zu gewährleisten.

Berufshaftpflichtversicherungen und zusätzliche Policen
Erweiterung des Versicherungsschutzes: Verkäufer sollte eine zeitlich begrenzte „Erlassversicherung“ (Nachhaftung für Altfälle) in seine bestehende Arzthaftpflicht integrieren. Käufer sollte eine „Nachhaftungsversicherung“ (Verlängerungsschadensversicherung) abschließen, die Schäden abdeckt, die er für Fälle erleidet, welche vor dem Übergangsdatum entstanden sind, aber erst später geltend gemacht werden.

Versicherer informieren:
Beide Parteien müssen ihre Versicherer mindestens einen Monat vor Ende des Versicherungsjahres über den Praxisverkauf bzw. -kauf informieren, um nahtlose Deckung zu gewährleisten.

Fazit: Arztdokumentation im Rahmen der Praxisübergabe
Die ärztliche Praxisübergabe erfordert eine penible, juristisch fundierte Dokumentation und eine strukturierte Vorgehensweise, um Haftungsrisiken zu minimieren und den Fortbestand einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung zu sichern. Zentrale Elemente sind hierbei die Erfüllung aller berufs-, datenschutz- und zivilrechtlichen Dokumentationspflichten, die datenschutzgerechte Handhabung von Patientenakten (z. B. nach den Münchener Empfehlungen) sowie eine klare Risikoverteilung im Übernahmevertrag und eine angepasste Versicherungsdeckung. Nur so können sowohl übergebende als auch übernehmende Ärzte ihre Rechte und Pflichten im Rahmen der Praxisübergabe rechtssicher wahren.


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Dietrich Freyberger
17.03.2025

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