Wer seine Praxis in andere Hände legt, gibt nicht nur ein Unternehmen auf, sondern meist auch sein Lebenswerk. Damit hat die Praxisübergabe nicht nur eine sachliche, sondern auch eine persönliche Ebene. Das gibt den Verhandlungen mit den Nachfolger:innen eine besondere Note, die zu wenig Beachtung findet.
Arno Maier hat seine Privatpraxis über drei Jahrzehnte geführt. Man kennt ihn im Ort. Seine Praxis ist ein Dorftreffpunkt. „Man hat sich im Wartezimmer getroffen – nicht immer nur, um mich zu konsultieren, sondern um Bekannte und Nachbarn zu treffen und zu ratschen. Die Bonbons am Empfangstresen mit dem Micky Maus-Heftstapel sind jahrelang ein Anziehungspunkt für einen Jungen gewesen, der regelmäßig nur deshalb kam“, sagt der Allgemeinmediziner.
Weniger schön verlief dann die Übergabe an seinen Nachfolger. Der hatte ganz andere Vorstellungen und wollte auch keine gemeinsame Übergangsphase. Finanziell wurde man sich einig, aber bald nach der Übergabe machte sich im Team Unzufriedenheit mit der neuen Führung breit. Nach und nach zerfiel das Praxisteam, viele Patient:innen wechselten in andere Praxen, und nach nicht einmal zwei Jahren musste der neue Arzt die Praxis wieder aufgeben.
Bei einer Praxisübergabe geht es eben nicht nur um juristische und wirtschaftliche Fragen, sondern auch um emotionale Aspekte. Wenn noch mitarbeitende Angehörige involviert sind oder gar die Tochter oder der Sohn die Praxis übernehmen sollen, vermischen sich schnell familiäre mit unternehmerischen Gesichtspunkten.
Diese komplexen Sachverhalte können Steuerberater, Anwälte und Finanzberater meist nicht abdecken. „Die schwierigsten Themen bei der Übergabe sind oft die menschlichen. Und das ist nicht unsere Kernkompetenz“, sagt der Regionalleiter eines großen Finanzdienstleisters, der viele Ärzt:innen berät.
„Lieber würde ich mich allein auf meine Patient:innen konzentrieren, mit Management und Führung stehe ich noch etwas auf Kriegsfuß“ meint Sven Fischbacher, der im letzten Jahr eine Landarztpraxis übernommen hat.
„Jede Praxisübergabe ist ein Change-Prozess. Für die beteiligten Ärzt:innen, aber auch für das gesamte Praxisteam und schließlich auch für die Patient:innen“ sagt Ernestine Stadler, die als Gesundheitsmediatorin schon lange Menschen im Gesundheitswesen unterstützt. „Zusätzlich kommen viele übernehmenden Ärzt:innen direkt aus einem Angestelltenverhältnis und tun sich anfangs schwer mit der neuen Rolle als Unternehmer:in, Manager:in und Führungskraft“, ergänzt der Führungskräftecoach und Mediator Dr. Constantin Sander.
Wie kann der Prozess der Übergabe also besser laufen? Wie finden junge Ärzt:innen schneller in ihre unternehmerische Rolle? Wie können sie das Praxisteam beim Neustart mitnehmen?
„Mediation, Coaching und Teamsupervision können Wege für den Übergang bereiten, Steine aus dem Weg räumen, verschiedene Interessen und Bedürfnisse harmonisieren und neue Motivation bei den Beteiligten wachsen lassen“, davon sind Stadler und Sander überzeugt.
Mediation ist ein Beratungsformat zur Erreichung gemeinsamer Lösungen, das allen Beteiligten gerecht wird. Moderiert wird durch allparteiliche Mediator:innen. Diese haben nicht nur die sachliche, sondern auch die menschliche Seite im Blick. Nur dort, wo wichtige Bedürfnisse und Emotionen Platz finden, kann eine gemeinsame Sache wachsen. Nicht immer sind Übergabegespräche konfliktbeladen, können sich aber zu einem Konflikt entwickeln. Eine behutsame Moderation, die die Interessen aller Parteien im Blick hat, kann das verhindern. Dazu braucht es gute Moderator:innen mit Mediationskompetenz.
Coaching ist ein Prozess der individuellen, ressourcen- und lösungsorientierten Begleitung in Veränderungsprozessen. Themen, die eher in den Bereich der Vertraulichkeit fallen, finden in einem Coaching Platz. Nicht alles lässt sich im Team besprechen, manchmal geht es um die eigene Performance, um Führung oder um den Umgang mit emotionalen Belastungen. Coaching ist meist eine zeitlich begrenzte, auf ein bestimmtes Ziel fokussierte Beratung, kann sich aber auch über einen längeren Zeitraum erstrecken.
Teamsupervision und Teamcoaching unterstützen Teams im Aufbau und in ihrer Entwicklung, können zur Klärung von Konflikten beitragen und bessere Wege der Zusammenarbeit aufzeigen. Viele Praxisteams funktionieren wunderbar, aber gerade in Veränderungsprozessen wie dem einer Praxisübergabe oder eines Wechsels im Team zeigen sich oft Friktionen, die es zu bearbeiten gilt. „Keine Zeit“ ist ein häufiger Einwand dagegen.
Was dabei oft nicht bedacht wird: Ein dysfunktionales Team verbraucht viele Ressourcen, darunter auch Zeit!
Landarzt Arno Maier fand schließlich doch noch einen geeigneten Nachfolger für seine Praxis, die Geschichte ging letztlich gut aus. „Hätten wir uns damals gleich eine:n Mediator:in gesucht, dann wäre uns allen viel Ärger, Enttäuschung und finanzieller Verlust erspart geblieben“, sagt er heute.
Dipl.-Volksw. Ernestine Stadler ist als Einzelcoach, Mediatorin und Supervisorin im Gesundheitswesen und im Sozialen Bereich tätig und konzipiert/organisiert entsprechende Mentoring- Programme.
Dr. Constantin Sander ist zertifizierter Coach und Mediator in Regensburg und begleitet seit vielen Jahren Ärzte und Pflegekräfte in Veränderungsprozessen. Sein Buch „Change! Bewegung im Kopf“ erschien 2016 in der vierten Auflage bei BusinessVillage.
Beide haben mit doc2gether ein Forum geschaffen, um Ärzt:innen bei der Praxisübergabe und danach durch Mediation, Coaching, Teamcoaching und Supervision professionell zu begleiten.
ARZTBÖRSE - Moderne Praxisübergabe